Anderthalb Jahre vor der Wahl holt sich Ministerpräsident Kretschmann mit Michael Kienzle ein grünes Urgestein als Chef der Redenschreiber
Am Mittwoch hat der promovierte Rentner Michael Kienzle (69) seinen Dienst im Staatsministerium angetreten. Auf die neulich erst - befristet bis zum Ende der Legislaturperiode – ausgeschriebene Stelle des Leiters des Redenreferats habe Kienzle "sich beworben und den Zuschlag bekommen", sagte Regierungssprecher Rudi Hoogvliet unserer Stuttgarter Redaktion.
Vakant war die Stelle eigentlich nicht. Roland Brecht, der schon für die christdemokratischen Ministerpräsidenten Teufel, Oettinger und Mappus Reden geschrieben hatte und dem grünen Amtsinhaber seit dessen Regierungsübernahme im Mai 2011 entsprechend zur Hand ging, soll jedenfalls nicht von sich aus um Versetzung gebeten haben. Mehr noch: "Nicht von seinen Vorgesetzten, sondern aus anderen Quellen soll er von der Ausschreibung seines Postens erfahren haben", wird kolportiert. Wie auch immer, der Wechsel ist da: Der gelernte Volkswirt leitet ab sofort im Finanz- und Wirtschaftsministerium ein noch zu schaffendes Referat, das sich unter anderem mit Controlling befassen soll, und Winfried Kretschmann hat, was sicher kein Zufall ist, einen Weggefährten mehr um sich: Kienzle, der lange als Literaturwissenschaftler an der Uni Stuttgart beschäftigt war, ist nicht nur wie Kretschmann ein Grüner der ersten Stunde: Von 1984 bis 2014 saß er (mit fünfjähriger Unterbrechung) für die Grünen im Stuttgarter Gemeinderat. In den siebziger Jahren waren Kretschmann ("ein fundamentaler politischer Irrtum") und Kienzle Genossen im Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW). Damals übrigens soll Kretschmann Kienzle wegen "bürgerlicher Abweichungen" ausgeschlossen haben. "Dann ist er hiermit offiziell begnadigt", scherzte Hoogvliet.
Kienzle hat hin und wieder als extern Beauftragter schon Reden für Kretschmann geschrieben. Mit seiner neuen amtlichen Verwendung findet gleichzeitig ein Stück Familienzusammenführung während der Arbeitszeit statt. Seine Frau Veronika, ebenfalls bei den Grünen, arbeitet im Staatsministerium in der Stabsstelle von Staatsrätin Gisela Erler. "Wahrscheinlich reichen zwei Hände bei weitem nicht", wollte man alle Grünen im Staatsministerium zählen, meint ein Insider zur dortigen personalpolitischen Entwicklung der letzten Jahre.
Im grünregierten Wissenschaftsministerium übrigens stutzten die Mitarbeiter am 25. September über einen in das hauseigene Intranet gestellten Kretschmann-Brief mit der Anrede "liebe Freundinnen und Freunde". Der grüne Ministerpräsident begründete darin seine unter Grünen heftig kritisierte Zustimmung zum Ayslkompromiss am 19. September. Der Brief an die Parteifreunde endet "mit grünen Grüßen". Was wie ein Versehen aussah, hatte Methode: Der Brief solle "den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ebenfalls zur Kenntnis gegeben werden", hieß es wörtlich. Kienzle hat von Kretschmann 2014 auch die Verdienstmedaille des Landes bekommen.
Von BETTINA WIESELMANN