Entscheidend ist, wie wir die neue Normalität gestalten
Gleichzeitig steigt die Ungeduld nach weiteren Lockerungen. „Diese Abwägung zwischen dem Wunsch nach Sicherheit und dem Wunsch nach Normalität ist die Aufgabe der Politik und diese muss wieder in den Parlamenten stattfinden.“, betonte Mack.
Noch am Politischen Aschermittwoch gab es kein Interesse am Thema Corona, erinnerte sich Winfried Mack, das änderte sich drei Wochen später dann schlagartig. Gerade die Medien, insbesondere auch die öffentlich-rechtlichen nahmen in dieser Zeit eine besonders wichtige Rolle in der Aufklärung der Bürger ein. „Wir alle waren sehr unsicher und wussten nicht, wie wir mit diesem Thema umgehen sollen. Ich habe selten so viel Nachrichten geschaut, wie in der Corona-Anfangszeit“, so der Abgeordnete.
Uschi Strautmann: Berichterstattung zu Beginn der Corona-Krise
„Es ging nicht nur Ihnen so, Herr Mack.“, berichtete Uschi Strautmann. „Der Zuspruch und das Interesse der Bevölkerung an verlässlichen Informationen war sehr groß. Gerade die Sendung SWR Aktuell um 19:30 Uhr zeigte dies mit täglich einer Million Zuschauern sehr deutlich.“ Für die Journalisten war diese Zeit eine Extremsituation: Homeoffice, getrennte Teams um bei Infektionen arbeitsfähig zu bleiben, Risikogebiete in unmittelbarer Nähe und gleichzeitig waren sie besonders gefordert, umfassende und fundierte Informationen von morgens bis abends zu liefern. „Es war auch eine logistische Meisterleistung, denn vor Ort filmen oder einen O-Ton zu bekommen war unglaublich schwer. Gleichzeitig wollten wir nicht nur informieren, sondern den Bürgern auch Orientierung bieten und die Fakten einordnen.“, so die Chefredakteurin.
Die Corona-Demonstrationen wurden von der SWR-Redaktion genau beobachtet, da eine Einordnung der Teilnehmer zu beginn sehr schwierig war. „Es war nicht klar, ob wir es hier mit normalen Bürgern, Impfgegnern oder Reichsbürgern zu tun hatten. Gleichzeitig war nicht klar, ob Stuttgart wieder das Zentrum für eine Protestbewegung wird.“ ordnete Uschi Strautmann ein. Die Demonstranten seien den Journalisten gegenüber zwar feindlich, aber nicht aggressiv gewesen. „Beschimpfungen wie Lügenpresse waren an der Tagesordnung, aber darin haben wir schon etwas Übung“, schmunzelt die Journalistin. Durch die Lockerungen seien die Corona-Proteste aber bereits am erodieren und eine große Protestwelle könne nicht mehr festgestellt werden. „Inzwischen ist fast wieder eine Art Normalität eingekehrt. Natürlich Normalität mit Sicherheitsabstand und Maske, aber auch daran haben wir uns bereits gewöhnt.“, resümierte Uschi Strautmann.
Prof. Dr. Edgar Grande: Freiheit und Sicherheit in der Risikogesellschaft
Sind wir auf dem Weg hin zu einer neuen Normalität und wir könnte diese neue Normalität aussehen? Über dies sprach Prof. Dr. Edgar Grand in seinem Vortrag. Der starke Rückgang der Akzeptanz von Einschränkungen zeige, dass wir in einer neuen Phase sind. Der Begriff der misstrauischen Mitte passe gut zur aktuellen Situation, da der Unmut auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei. „Es ist unstrittig, dass existenzbedrohende Katastrophen und Krisen schnelles und umfassendes Handeln erfordern. Die Politik bewegt sich immer im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit und die Frage ist jetzt, wie müssen wir das Verhältnis jetzt neu justieren.“ betonte Grande. Er zitierte dazu aus dem CDU-Grundsatzprogramm 2007, das damals den Titel „Sicherheit und Freiheit“ trug: „Es ist Aufgabe der Politik, dem Menschen den notwendigen Freiheitsraum zu sichern und sie für das Gemeinwesen in die Pflicht zu nehmen. Zu den Kernaufgaben des States gehört es die Grundrechte zu schützen und Machtmissbrauch zu verhindern.“ Die Herausforderung sei es jetzt die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu finden, die von einer Mehrheit der Bürger akzeptiert werde, so der Zivilgesellschaftsforscher.
„Auch in dieser Krise gibt es Grenzen des Zumutbaren und das entscheidende ist, herauszufinden wo diese Grenzen in einem demokratischen Rechtsstaat liegen.“ Es gebe drei Kriterien, wie diese Grenze zu finden sei: Die Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahmen, die zeitliche Befristung der Einschränkung der Grundrechte und die demokratische Einbindung und Kontrolle. „Beim dritten Punkt geht es, wie von Herrn Mack gefordert, um die Einbindung der Parlamente, aber auch um die öffentliche Diskussion.“ erklärte Prof. Grande.
Vom Staat wird erwartet, dass er präventiv handelt, um eine drohe Katastrophe zu vermeiden. Es könne nicht auf umfassendes Wissen gewartet werden, um Entscheidungen zu treffen. Dazu zitierte Grande den Ex-Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier, der bereits Anfang April sagte: „Weil wir darüber nicht genug wissen, können wir nicht beurteilen, ob die Maßnahmen verhältnismäßig seien.“
Prof. Grande ergänzte dazu: „Das Dilemma ist, dass wir die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen nicht bestimmen können.“
Abschließend zitierte Prof. Edgar Grande den Soziologen Ulrich Beck: „Die Risikogesellschaft ist eine katastrophale Gesellschaft. In ihr droht der Ausnahmezustand zum Normalzustand zu werden.“ Daraus schlussfolgerte Grande, dass wenn wir das nicht wollten, wir den Blick in die Zukunft richten müssten. „Unser Problem ist, dass wir glauben, dass die Katastrophe am Ende doch nicht eintritt und wir glauben, dass wir baldmöglichst in die Normalität zurückkehren. Das werden wir aber nicht. Das entscheidende ist, wie wir diese neue Normalität gestalten.“
Lothar Frick: Für breite Diskussion und gegen die Spaltung der Gesellschaft
„Das Buch die Risikogesellschaft von Ulrich Beck erschien Anfang der 80er-Jahre und seit dieser Zeit hatten wir trotz einiger Krisen in aller Regel den Normalzustand.“, schließt Lothar Frick nahtlos an. Er habe Verständnis für die Menschen, die nicht die neue Normalität, sondern die bisherige Normalität zurückfordern, da sich Lebensumstände der Menschen durch die Pandemie zum Teil fundamental verändert hätten. „Ich habe aber kein Verständnis dafür, dass manche das politisch versuchen zu instrumentalisieren. Dass manche sagen, ich wandere mit jedem durch die Straße – egal ob recht-s oder linksextrem – Hauptsache wir haben das gleiche Ziel. Das kann keine Einstellung sein.“ Außerdem habe er kein Verständnis für Menschen, die jetzt versuchen zu polarisieren und damit die Gesellschaft weiter zu spalten. „Wir müssen aufpassen, dass es bei allen Diskussionen nicht zu einer dauerhaften Polarisierung der Gesellschaft kommt und wir müssen aufpassen dass die Gesellschaft nicht in Risikogrupp und Menschen mit weniger Risiko gespalten wird. Dass Risikogruppen – überspitzt gesagt – eingesperrt werden, ist nicht mein Verständnis von einer solidarischen Gesellschaft.“, betonte der Direktor der Landeszentrale für politische Bildung.
Die zweite Botschaft von Lothar Frick war, dass wir jetzt über die riesigen Summen, die auch noch die Steuerzahler der Zukunft belasten werden, auf einer breiten, gesellschaftlichen und damit auch parlamentarischen Ebene diskutieren müssen. „Die Gesellschaft muss sehen, dass es ein Pro und ein Kontra gibt. So können wir die Menschen mitnehmen und wieder zu einer Normalität – egal ob alt oder neu – finden.“